Fachinformation Rehabilitation bei Schluckstörungen (Dysphagien)

Schlucken ist eine halbreflektorische Fähigkeit, die wir mühelos ca. 1500 Mal jeden Tag ausführen. Es handelt sich hierbei jedoch um einen hochkomplexen Prozess zum Transport von Speichel und Nahrung von der Mundhöhle in den Magen. Schlaganfälle sind die häufigste Ursache für Störungen dieser komplexen Fähigkeit. Nach einem Schlaganfall tritt bei etwa 50% aller Patienten eine akute Schluckstörung auf und ca. 25% aller Betroffenen leiden an einer chronischen Dysphagie.

Die normale Schlucksequenz wird in vier verschiedene Phasen eingeteilt.

  1. Prä-Orale Phase: die Speise wird sensorisch wahrgenommen, vorbereitet und zum Mund geführt.
  2. Orale Phase (Os: Mund): nachfolgend wird die Speise, je nach Konsistenz, durch Kau- und Sammelbewegungen zerkleinert und zu einem so genannten ‚Speisebolus' geformt. Am Ende der Oralen Phase befördert die Zunge diesen Bolus durch eine Aufwärts-Rückwärtsbewegung in Richtung Rachen. In diesem Moment wird der eigentliche Schluckreflex ausgelöst und die Pharyngeale Phase beginnt.
  3. Pharyngeale Phase (Pharynx: Rachen): Während des Bolustransportes durch den Rachen wird die Luftröhre durch verschiedene Mechanismen verschlossen: die Stimmlippen schließen sich, der Kehldeckel senkt sich ab und verschließt den Luftröhreneingang und der Kehlkopf bewegt sich nach oben unter den Kehldeckel. So wird ein Eindringen von Speise oder Flüssigkeiten in die Luftröhre verhindert. Gleichzeitig wird der Bolus durch Bewegungen der Pharynxwände, die Zungenschubkraft und die Schwerkrafteinwirkung zum oberen Schließmuskel der Speiseröhre befördert. Die Dauer der Pharyngealen Phase ist mit ca. 1 Sekunde sehr kurz; ein so rascher Bolustransport in die Speiseröhre ist notwendig, da der Verschluss der Luftröhre und der damit verbundene Atemstop nur kurzzeitig aufrechterhalten wird.
  4. Ösophageale Phase (Ösophagus: Speiseröhre): Der obere Schließmuskel der Speiseröhre öffnet sich zeitgerecht exakt für den Eintritt des Bolus, womit die letzte Schluckphase, die Ösophageale Phase beginnt. Der Speisebolus wird nun durch peristaltische Bewegungen der Speiseröhre in den Magen transportiert.

Die motorischen und sensorischen Mechanismen des Schluckablaufs werden durch verschiedene Zentren des Gehirns gesteuert. Maßgeblich beteiligt sind nach heutigen Erkenntnissen vor allem jeweils der motorische und sensorische Kortex der beiden Hirnhälften (für die orale Phase) sowie zwei spezifische Regionen im Hirnstamm, die auch als Schluckzentren bezeichnet werden (diese sind vor allem an der Auslösung des Schluckreflexes und der zeitlichen und räumlichen Koordination der Pharyngealen Phase beteiligt).

Durch einen Schlaganfall kann es zu Schädigungen der Hirnareale oder der Hirnnerven kommen, die die komplexen Bewegungsabläufe der Schluckphasen ermöglichen. Störungen in einer oder in mehreren Schluckphasen sind die Folge, und es kommt zu Aspirationen (Eindringen von Speichel oder Bolusteilen in die Luftröhre), die schwere Lungenentzündungen (Aspirationspneumonien) zur Folge haben können. Eine Aspiration ist häufig an einer heftigen Hustenreaktion erkennbar: ein Schutzreflex der ausgelöst wird, wenn Fremdkörper in die Luftröhre gelangen. Vor allem bei neurologischen Schluckstörungen nach Schlaganfall kann dieser Reflex jedoch ebenfalls abgeschwächt oder aufgehoben sein, so dass es zu so genannten "Stillen Aspirationen" kommt. Diese sind in der Regel nur durch eine Fachtherapeutin oder im Rahmen einer bildgebenden Untersuchung erkennbar. Langfristige Folgen einer Dysphagie können neben den z. T. gefährlichen Lungenentzündungen eine fortschreitende Mangelernährung und Dehydrierung sein. Zudem ist das Genusserlebnis ‚Essen und Trinken' deutlich beeinträchtigt.

Diagnostik

Dysphagie Diagnostik

Eine Diagnostik bezüglich des Vorliegens einer Dysphagie sollte bereits sehr früh nach Auftreten eines Schlaganfalls erfolgen. Die Diagnostik muss durch einen speziell geschulten Schlucktherapeuten durchgeführt werden. Sie umfasst eine detaillierte Beurteilung der motorischen und sensorischen Funktionen in den Schluckphasen sowie, wenn indiziert, einen Schluckversuch mit verschiedenen Nahrungskonsistenzen und eine abschließende vorläufige Ernährungsempfehlung. Ein standardisiertes Untersuchungsmaterial für die therapeutische Schluckuntersuchung existiert bisher nicht.

Ergänzend zu dieser klinisch-therapeutischen Untersuchung können bildgebende Verfahren eingesetzt werden, um die Aspirationsgefahr und -menge zu beurteilen. Häufigste Verfahren sind hier die Fiberoptisch-Endoskopische Untersuchung des Schluckvorgangs (FEES) und die Videoflouroskopie.

Therapie

Dysphagie Therapie

Hauptziel der Therapie bei Dysphagien ist die möglichst weitgehende Wiedererlangung der Fähigkeit zur oralen Nahrungsaufnahme und die Reduzierung des Aspirationsrisikos. Dem Dysphagietherapeuten stehen dabei im Wesentlichen drei unterschiedliche Therapieverfahren zur Verfügung, die zur optimalen Behandlung für jeden Patienten individuell kombiniert werden können.

  1. Restituierende (wiederherstellende) Verfahren: hier werden Stimulations-, Bewegungs- und Schluckübungen durchgeführt, deren Ziel es ist, die gestörten Funktionen möglichst weitgehend zu normalisieren.
  2. Kompensatorische Verfahren: je nach Möglichkeiten des Patienten werden Haltungsänderungen und Schluckschutztechniken vermittelt, die das Aspirationsrisiko vermindern.
  3. Adaptierende Verfahren: diese werden vor allem in frühen Phasen dysphagischer Erkrankungen hinzugezogen. Sie beinhalten unter anderem eine Anpassung der Kostform (pürierte vs. weiche vs. feste Kost, angedickte Getränke, etc.), aber auch die Verwendung spezieller Trinkbecher, eines speziellen Bestecks oder weiterer unterstützender Therapiehilfen.

Nicht jeder Dysphagiepatient wird nach einer Therapie wieder vollständig normale Kost essen können. Die Veränderung der Kostform bei der oralen Ernährung oder auch die teilweise oder vollständige Ernährung mittels einer Magensonde (PEG) kann bei mittelgradigen bis schweren Dysphagien auch langfristig notwendig sein. Ebenso kann es bei schwersten Dysphagien, die zu einer dauerhaften Aspiration von Speichel führen, notwendig sein, ein Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) durchzuführen und den Patienten mit einer geblockten Trachealkanüle zu versorgen, um die tieferen Atemwege vor dem aspirierten Speichel und Sekret zu schützen. In diesem Fall ist das Ziel der Dysphagietherapie zunächst nicht im Erreichen der oralen Nahrungsaufnahme zu sehen, sondern in der Anbahnung und Sicherung der Schluckfunktion und dem Entwöhnen von der Trachealkanüle. Erst nach der Dekanülierung kann ggf. ein Aufbau der oralen Ernährung beginnen.

Wirksamkeit

Obwohl in den letzten Jahren viele Untersuchungen zu physiologischen Zusammenhängen der Dysphagien veröffentlicht wurden, steht der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit von Therapieverfahren leider noch weitgehend aus. Vor allem die Wirksamkeit der kompensatorischen Schluckschutzmanöver wurde in einigen Untersuchungen bestätigt.

Gegenwärtig wird ein Ansatz zur Trachealkanülenentwöhnung an der Universität Potsdam evaluiert. Die klinischen Erfahrungen mit individuell auf den Patienten abgestimmten Kombinationen der genannten Verfahren sind aber insgesamt als positiv zu bewerten und werden in zukünftigen Studien sicherlich Bestätigung finden.

Ausgewählte Literatur

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Zeitschrift: "Dysphagia", vierteljährlich, Spinger-Verlag, New York

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